Ackerbau und IT – Gegensätze, die sich anziehen?

11.11.2020 | Tim Schmeling in automatisierung

Das Bewirtschaften der Felder, die Bodenbearbeitung und das Ausbringen von Dünger – auf den ersten Blick wirken diese Aufgaben nicht besonders kompliziert, doch so einfach ist es nicht. Um Saatgut ausbringen zu können, muss der Boden vorbereitet (locker) sein. Die Aussaat geschieht mit einer Sähmaschine, die in unserem Fall drei Meter breit ist. Um ein 51 Meter breites Feld komplett mit Saatgut zu versehen, muss der Landwirt idealerweise 17 Mal über das Feld fahren. Dabei sollte keine Stelle doppelt mit Saatgut beschickt oder gar ausgelassen werden. Bei drei Meter Breite ist das noch ohne weitere technische Hilfsmittel machbar, entsprechende Konzentration und fahrerisches Geschick des Landwirtes vorausgesetzt. Wie ist das jedoch, wenn das Anbaugerät keine drei Meter breite Sähmaschine, sondern eine zwölf Meter breite Feldspritze ist?

Die Feldspritze wird vor der Benutzung entsprechend bestückt und eingestellt, sodass die ideale Menge an Dünger ausgebracht wird. Man setzt voraus, dass keine Stelle doppelt befahren und damit doppelt gedüngt wird. Ebenso dürfen keine Stellen ausgelassen werden, da diese sonst keinen Dünger erhalten und den Ertrag der späteren Ernte senken. Der Landwirt muss also sicherstellen, dass er exakt und korrekt über das Feld fährt. Hierzu stehen ihm mittlerweile verschiedene technische Hilfsmittel zur Verfügung, die ihn unterstützen.

Das Herzstück dieser Komponenten stellt der Bordcomputer des Traktors dar, ausgestattet mit Touchscreen, mobilem Internetzugang, GPS/Glonass-Empfängern sowie vielen weiteren Sensoren (Neigungs-, Beschleunigungs-, Durchflussmengen-Sensoren, etc.). Die Fäden all dieser technischen Mittel laufen im Bordcomputer zusammen. Dem Landwirt steht dort eine visuelle Karte seines Feldes zur Verfügung, mit den einzuhaltenden Fahrspuren, vergleichbar mit der Ideallinie beim Autofahren. Viele Hersteller von landwirtschaftlichen Zugmaschinen bieten solche Systeme bereits ab Werk an, gegen Aufpreis versteht sich. Doch es gibt auch Alternativen, etwa das Open Source Projekt AgOpenGPS [2], das eine solche Software allen Interessierten zur Verfügung stellt. Anders als kommerzielle Hersteller übernehmen die Initiatoren des Projekts keinerlei Garantie und sagen explizit, dass die Software lediglich zu Lernzwecken angewendet werden sollte. Dies ist jedoch üblich und dient der rechtlichen Absicherung.

Die visuelle Darstellung der Fahrspur ist meist das erste Ziel eines solchen Projekts. Schnell aber reicht dies nicht mehr aus, denn das Lenken des Traktors muss weiterhin der Landwirt übernehmen und zusätzlich nebenher auf den Monitor schauen. Um dieses Problem zu lösen, haben sich findige Bastler [3] mit PKW-Bauteilen und allerlei “Bastelkram” vergnügt. Die eigentliche Lenkung übernimmt ein Elektromotor, an den das Gummirad eines Modellautos geschraubt ist. Der Elektromotor sowie ein zusätzlicher Lenksensor werden an einen Arduino mit Motorsteuerung angeschlossen. Die Software berechnet dann aus diversen Parametern, wie der Elektromotor das Lenkrad bewegen muss, damit die Fahrspur eingehalten wird.

Das GPS System basiert auf derzeit rund 30 aktiven Satelliten, deren Flugbahn so gewählt ist, dass immer mindestens sechs Satelliten in “Sichtweite” ihres Empfängers sind. Sichtweite meint hier tatsächlich, dass das Signal vom Satelliten empfangen werden kann und zwar unabhängig davon, wo auf der Erde sich der Empfänger gerade befindet. Um eine Position mittels GPS bestimmen zu können, sind initial mindestens vier Satelliten notwendig. Nach der initialen Standordbestimmung, und wenn sich die Position nicht gravierend verändert hat, reichen drei Satelliten aus, um einen Standort zu bestimmen.

Die Genauigkeit des GPS-Signals ist jedoch von vielen Faktoren abhängig und kann mitunter um bis zu einen Meter von der tatsächlichen Position abweichen. Grund hierfür sind verschiedene physikalische Einflussfaktoren wie die Ionosphäre, Troposphäre, ungenaue Uhren etc. Diesem Umstand kann man z.B. mit einem sogenannten Korrektursignal beikommen. Hierbei wird, etwa auf dem Hof des Landwirtes, eine RTK-Basis (Real Time Kinematic [4]) eingerichtet – der Landwirt weiß exakt, wo sich seine RTK-Basis befindet (GPS Position), z.B. auf dem Dach seiner Scheune. Bei einem RTK basierten Korrektursignal werden die GPS Signale zur Ermittlung der Entfernung verwendet, die vom GPS Satelliten ausgesendet werden. Dadurch, dass die RTK-Basis permanent die Daten der Satelliten empfängt, gleichzeitig aber auch “weiß”, an welchem Standort (z.B. auf dem Scheunendach) sie sich befindet, kann anhand der fixen Position und der sich durch das GPS Signal ergebenden Ungenauigkeit, ein Korrektursignal errechnet werden. Die RTK-Basis kennt ihre eigene Position, empfängt permanent das GPS Signal, und berechnet aus der Differenz das Korrektursignal. Dieses wird an den Rover, den Bordcomputer des Traktors, via Mobilfunknetz übertragen. Der Bordcomputer empfängt ebenfalls GPS-Daten seines GPS-Empfängers und ermittelt ebenso die Entfernung. Aus seinen eigenen Daten sowie denjenigen der RTK-Basis ergeben sich schließlich die genauen Positionsbestimmungen.

Der Bordcomputer kennt mithilfe des Korrektursignals die Position des Traktors bis auf 1-2cm genau. Anhand der visuellen Karte und der genauen Maße des Feldes errechnet der Computer die ideale Fahrspur und zeigt diese visuell auf dem Display an. Teilweise übernehmen diese Systeme auch die Lenkung der Maschine, sodass der Landwirt zwar die verschiedenen Komponenten sowie deren Funktionen überwachen muss, das eigentliche Fahren der Maschine jedoch entfällt.

Die Digitalisierung der Landwirtschaft kann in unzähligen weiteren Fällen aufgezeigt werden, in vielen Betrieben haben sich digitale Technologien zu einem festen Bestandteil der täglichen Arbeit entwickelt. Neben kommerziellen Anbietern gibt es immer wieder auch Open Source Projekte, mit denen Landwirte sich an dunklen Winterabenden beschäftigen können und die ihnen bestenfalls die Arbeit erleichtern, mindestens aber ein spannendes Bastelprojekt sind.

Tim Schmeling
Tim Schmeling
Tim ist seit 2017 bei B1 und betreibt mit seinem Team eine große Cloud für ein internationales Unternehmen. Wenn er mal nicht in den Wolken oder beim Kunden unterwegs ist, dann beschäftigt er sich mit Hochverfügbarkeit, Clustering und SAP HANA. Nebenher gibt er als Trainer sein Wissen an andere weiter.

 


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